Jahrestagung 2001, Bad Waldsee
„Alte Bibliotheken – Lust oder Last“
Jahrestagung der AKThB in Bad Waldsee-Reute vom 13. bis 17. August 2001
Für die Zeit vom 13. bis 17. August 2001 hatte die Arbeitsgemeinschaft Katholisch-Theologischer Bibliotheken zu einer Fortbildungstagung in das Bildungshaus „Maximilian Kolbe“ der Franziskanerinnen von Reute in Bad Waldsee eingeladen. Mit ihrer großen Gastfreundlichkeit sowie professionellem Organisationstalent schufen sie eine angenehme Gesprächsatmosphäre. Den Eröffnungsvortrag „Der Arzt als Gelehrter“ hielt Prof. Dr. Richard Toellner, Professor für Geschichte der Medizin. In den Schriftkulturen, so sagte er, habe der Arzt sich nicht nur auf die mündliche Überlieferung der Lehrmeister, sondern auch auf niedergeschriebene Erkenntnisse gestützt. Seit Einführung der scholastischen Unterrichts- und Lernmethoden herrsche das Buch. Eine Bibliothek sei mehr als ein materieller Schatz. Bis ins 17. Jahrhundert enthielten die Universitäts-, Kirchen-, Kloster-, Hof- und Stadtbibliotheken nur kleine Bestände an medizinischer Literatur, während die theologische überwog. Als interessant bezeichnete es der Referent, dass in der Zeit der konfessionellen Prägung der Universität die Mediziner unabhängig davon ihren Studienort wählen konnten. Eine der größten und besten Gelehrtenbibliotheken des deutschen Renaissancehumanismus hätten Leonhard (1574 – 1636) und Johann Laurentius (1605 – 1665) Bausch – Vater und Sohn, beide mit Studienaufenthalten an der Universität Padua und später aufeinander folgend Stadtphysikus der Freien Reichsstadt Schweinfurt – in einer Zeit des Umbruchs im wissenschaftlichen Denken aufgebaut. Die Büchersammlung umfasste ungefähr zur Hälfte medizinische Literatur. An der Bausch-Bibliothek lasse sich ablesen, wie der Anteil humanistischer Autoren zugenommen habe, sagte Professor Toellner. Er sprach noch über den Engländer William Harvey, der den Wechsel von den Autoritäten der Alten zur Autorität der Natur forderte und damit die Medizin auf den Weg zur Anerkennung als Naturwissenschaft im 19. Jahrhundert brachte.
In die Welt der Barockliteratur versetzte uns der Germanist und Literaturwissenschaftler Prof. Dr. Hans Pörnbacher mit seinem Referat „Von Bauernamseln und Nachtigallen“. Gedichte von Jakob Balde („An die schöne Jungfrau vor der Reise nach Ebersberg“), Christoph Selhamer („Schwarze Bauernamsel“) und anderen Autoren, die im katholischen Süden lebten, dienten als Grundlage seiner Ausführungen. So seien Barocktexte im katholischen Bereich fast ausschließlich der geistlichen Literatur zuzuordnen. Im Vordergrund der Texte, die hauptsächlich für das einfache Volk bestimmt waren, stehe die Sorge um die ewigen Werte der Menschen. Kraftvolle poetische Bilder und gefälliger Stil zeichneten gute Texte aus, die unseren Respekt verdienten.
Am Nachmittag trafen sich die Vertreter der Bibliotheken aus den Landesgruppen Baden-Württemberg, Bayern, Nordrhein-Westfalen, Österreich und Rheinland-Pfalz zu getrennten Beratungen ihrer regionalen Belange. Kolleginnen und Kollegen aus Diözesan-, Kloster-, Hochschul- und Priesterseminarbibliotheken sowie aus überdiözesanen Einrichtungen besprachen anschließend beim Spartentreffen ihre jeweiligen institutsspezifischen Eigenheiten und tauschten ihre Erfahrungen sowie Meinungen zu bibliothekspolitischen Themen aus.
Mit Weihbischof Dr. Johannes Kreidler feierten wir am Vorabend des Festes Mariä Himmelfahrt die Eucharistie in der Pfarrkirche von Reute. Danach hatte die Diözese Rottenburg-Stuttgart zu einem Empfang eingeladen. Weihbischof Dr. Johannes Kreidler hieß alle recht herzlich willkommen und richtete die Grüße des Bischofs Dr. Gebhard Fürst aus, der nicht kommen konnte.
Der zweite Tag begann mit einem Vortragsthema, das auch heute für viele Bibliotheken gelten kann. „Non adest pecunia“ betitelte Frau Magda Fischer aus Freiburg, bekannt durch ihre Mitarbeit an Projekten der Kulturstiftung des Landes Baden-Württemberg, ihr Referat über die Bibliothek des Klosters Weingarten in der Barockzeit. Ausführlich behandelte sie die wechselvolle Erwerbungsgeschichte und bezifferte die teilweise recht unterschiedlichen jährlichen Bestandszuwächse oder für den Bücherankauf aufgebrachte Beträge, soweit sie die Angaben aus den Akten und Rechnungsbüchern eruieren konnte. Es wurde deutlich, wie Notzeiten, beispielsweise der Dreißigjährige Krieg, oder die Realisierung klösterlicher Bauvorhaben den Beschaffungsetat drückten.
Der Münchener Antiquar und Auktionator Karl Hartung gestaltete seinen Beitrag „Alte Bibliotheken – Last oder Lust: Bewertung alter Klosterbibliotheken“ mit Schwerpunkt Barockzeit als Diskussion. Er beantwortete Fragen der Zuhörer nach Herkunft der Handschriften und Drucke. Für die materielle Bewertung, fuhr er fort, seien Inhalt, Ausstattung, Illustrationen und Einband ausschlaggebend. So finde die theologische Literatur des 16. und 17. Jahrhunderts, von Erstausgaben oder besonders gut ausgestatteten Bänden abgesehen, zur Zeit wenig Interesse. Teilweise fünfstellige Beträge erzielten Erstausgaben der deutschen Barockliteratur. Letztendlich entscheide das Interesse der Kunden über den Verkaufserlös.
Pfarrer Heribert Hummel aus Stuttgart umriss in seinem Beitrag in groben Zügen die „Geschichte der Bibliotheken der Diözese Rottenburg-Stuttgart“. Zunächst sprach er über den Aufbau der Kapitelsbibliotheken im Königreich Württemberg um 1810, die mit Beiträgen des Klerus finanziert wurden. Danach berichtete er über die Entstehung der Bibliothek des Priesterseminars der Diözese Rottenburg-Stuttgart in Rottenburg und der Konviktsbibliothek Wilhelmsstift in Tübingen. Nach der Angliederung der Friedrichs-Universität Ellwangen als theologische Fakultät der Universität Tübingen im Jahre 1817 ist die erstgenannte Bibliothek von Ellwangen nach Rottenburg am Neckar umgezogen, die zweite in Tübingen gegründet worden. Angaben über die nach 1890 gegründeten Pfarrbibliotheken und das Katholische Bibelwerk in Stuttgart schlossen den Vortrag ab.
Herr Dr. Johann Tomaschek, Leiter der Stiftsbibliothek und des Archivs der Benediktinerabtei Admont, vermittelte überblicksweise „Bestandsaufbau und Bestandsschwerpunkt in österreichischen Klosterbibliotheken im 17. und 18. Jahrhundert unter besonderer Berücksichtigung von Admont“. Beim Vergleich der Bibliotheken stellte er fest, daß die theologische Literatur meist ungefähr die Hälfte des jeweiligen Bestandes bildete und die Benediktinerklöster die namhaftesten Bestände besaßen. Er ergänzte seine Aussagen mit Bildern von verschiedenen Klöstern oder deren Bibliothekssälen. Dazwischen zeigte er u. a. auch eine Ablichtung der „Regula bibliothecarii“ von Admont aus dem Jahre 1620.
Den öffentlichen Lichtbildervortrag mit dem Titel „Barockbibliotheken: Gehalt und Gestalt“ hielt am Abend Prälat Dr. Sigmund Benker, Direktor der Dombibliothek Freising. Zunächst erläuterte er, warum die seit der Antike gepflegte liegende Aufbewahrung der Codices mit wachsender Bücherzahl eine andere Lösung der Buchaufstellung erforderte. Mittelalterliche Pultbibliotheken wie in Zuitven in Holland benötigten riesige Säle. Die Wende habe eingesetzt mit der sachlichen Aufstellung der Bücher in der Bibliothek des Escorial bei Madrid. Dr. Benker nannte die Bautypen, die vom zweischiffigen Längssaal des Jesuitenkollegs in Köln mit Bücherschränken an den Wänden, über mittelalterliche Buchkammern, Kuppelsaal wie in Admont bis zum Zentralraum mit Konchen wie in Schlierbach reichten. Als Beispiel für die wohl am häufigsten vorkommende Form des längsgerichteten Raumes beschrieb er die Ausstattung des Barocksaales der Freisinger Dombibliothek, der unter Fürstbischof Johann Theodor 1732 – 1734 gebaut und 1737 – 1738 ausgestattet wurde. Auch die Farbgebung der Barockbibliotheken sprach er an. Sie reichte von der weißen Farbe über prächtige Ausmalungen bis zu einer Buntheit, die wie in Metten den Büchern scheinbar eine untergeordnete Rolle zuweist. Der Referent stellte fest, dass die Barockbibliothek von der Geschlossenheit ihrer Bücherwände lebt. Grund für die festliche Ausstattung als Gesamtkunstwerk sei die Ehrfurcht vor dem Wissen, das in übersichtlicher Ordnung anschaubar sein sollte. Am Ende seines mit großem Beifall bedachten Vortrags wies er auf bedeutende Autoren der Barockzeit, beispielsweise Cornelius a Lapide oder Athanasius Kircher und ihre für die Wissenschaften grundlegenden Werke hin.
Den Vormittag des letzten Tages füllte die satzungsgemäße Mitgliederversammlung, in der Vorstand und Arbeitsstellen Rechenschaft über ihre Tätigkeiten ablegten. Vorsitzender und Schatzmeister wurden entlastet. Die Bibliothek der Katholischen Hochschule für Kirchenmusik in Aachen, die Bibliothek des Albertus-Magnus-Instituts in Bonn und die Bibliothek der Katholischen Fachhochschule Nordrhein-Westfalen in Köln wurden Mitglieder der AKThB. Neben den Jahrestagungen 2002 in Berlin und 2003 – gemeinsam mit dem VkwB – in Benediktbeuern standen verschiedene Verbandsfragen auf der Tagesordnung.
Ziel der Exkursion am Nachmittag waren zwei bedeutende Bibliotheken in den Nachbarländern Österreich und Schweiz. Im Kuppelsaal der Vorarlberger Landesbibliothek in Bregenz, der als Lesesaal mit Freihandbereich in der ehemaligen Kirche des St. Gallusstiftes untergebracht ist, berichtete Herr Mag. Thomas Feurstein über die Geschichte und Aufgaben der 1986 eröffneten Bibliothek. Er selbst, Frau Mirella Sprenger und Herr Dr. Wilhelm Meusburger führten uns danach in drei Gruppen durch das Haus, das auch die Stiftsbibliothek mit den historischen Beständen vor 1830 beherbergt. Am späten Nachmittag erwarteten uns in der Stiftsbibliothek Sankt Gallen Herr Prof. Dr. Ernst Tremp, Frau Thérèse Flury und Frau Maria Hufenus. Sie führten jeweils eine Gruppe durch den barocken Bibliothekssaal und erläuterten Bau- und Bestandsgeschichte. Ausführlich beschrieben sie einige Handschriften, darunter auch das erste Blatt des Kataloges von 1461, und alte Drucke, die bis zum 11. November 2001 in der Ausstellung „Vom Staub und Moder im Hartmut-Turm …“ zu sehen sind. Im Lapidarium zeigten sie uns bedeutende Fundstücke aus der Karolingerzeit, die bei Ausgrabungen in der Kathedrale von Sankt Gallen gefunden wurden.
Joachim Neumann